Indien 1991 Precious Pregnancies

von Dr Dorothee Struck (Kommentare: 0)

Zaubernuss, Foto: Depositphotos

Precious Pregnancies... die Vorgeschichte

Die Bezeichnung „this is a precious pregnancy“ (dies ist eine kostbare Schwangerschaft), habe ich 1991 aus Indien mitgebracht. Aber: Ist nicht jede Schwangerschaft eine Kostbarkeit, ein Geschenk und ein Wunder? Ja, natürlich, nur die Frauen, die leicht, manchmal zu leicht, zu schnell und ungewollt schwanger sind, sehen es nicht immer so. Die Frauen, die Paare, die nach mehreren Jahren, in denen ein Kind heiß ersehnt war, endlich schwanger geworden sind, für die ist diese Kostbarkeit immens. Die „kostbaren Schwangeren“, die liebevoll umsorgt waren, waren damals die Frauen, die vier bis fünf Jahre auf ein Kind gewartet hatten oder schon Schwangerschaften verloren hatten.

 

Fast Ärztin aber noch nicht ganz - Fast keine Technik aber Zeit und freundliche Menschen

In meiner letzten Famulatur, noch Medizinstudentin, noch nicht ganz Ärztin, habe ich einige Zeit im St. Lukes Hospital, in Hiranpur, Bihar, Indien verbracht und wurde schneller als mir lieb war ins kalte Wasser (na, ja, lauwarm: durchschnittlich 35°C im Schatten im Monsun) der Geburtshilfe geschubst. 5 Ärzte für ein 150 Betten-Krankenhaus und 2 Ambulanzen, Strom manchmal nur 2 Stunden am Tag, unberechenbar, wann der Strom da war und wann nicht. Dann schnell alle Röntgenbilder knipsen, wer weiß, wann der Strom wieder weg ist. Unglaublich wie vielen Menschen meine Kollegen dort tagtäglich halfen, unter Bedingungen, die in einer deutschen Uniklinik undenkbar sind. Halb ausgebrütete aber medizinisch brauchbare Studentinnen wurden rasch zum Dienst am Patienten verhaftet: „Wenn Du Hilfe brauchst, hol sie Dir. Es ist besser, Du guckst erstmal, als dass die Frauen den halben Tag keinen ausgebildeten Mediziner sehen.

Viel konnten wir den „kostbaren Schwangeren“ von der medizinisch-technischen Seite nicht bieten. Untersuchungen erfolgten am besten mit den 5 Sinnen: Abtasten, Patientenbeobachtung, Hören (mit dem Hör-Rohr nach Pinard, dass ich heute noch habe) … Zuhören eher schwierig, mein rudimentäres Hindi, das ich vorher gelernt hatte, diente oft genug der Belustigung der Schwestern und Hebammen. Viele Patientinnen sprachen weder Englisch noch Hindi, sondern Bengal oder lokale Dialekte. Verständigung über Hände & Füße plus Übersetzung der Hebamme. Das was hilft, was in England einige Jahre später in einer Studie tatsächlich belegt wurde: TLC* = Tender loving care, empathische Pflege, die konnten wir bieten. Unterstützung durch erfahrene Schwestern, Hebammen, die schon jahrelang dort arbeiteten und auch die Frauensolidarität in den 10-20 Betten-Sälen. „Du schaffst das, Frauen können das, wir können das: Kinder austragen, Gebären, Stillen!“ Mut zusprechen, da sein, das konnten wir reichlich geben. Und es hilft, vor allem bei Frauen, die nach Fehlgeburt schwanger sind, gibt es dazu einige Untersuchungen*.

Hatten wir auch keinen Strom, wenig technisch-diagnostische Instrumente, auch oft zu wenig Medikamente, dafür hatten wir Menschen. Viele Krankenschwestern und angelernte Hebammen, keine formale Ausbildung, sondern Frauen aus der Gegend, die durch die Kollegen vor Ort das Wissen vermittelt bekamen, das notwendig war. Aber dafür kamen diese Frauen aus den umliegenden Dörfern, sprachen die lokalen Dialekte, kannten den Stress und Druck durch eine Schwiegermutter, die auf einen Enkel versessen ist, wenn nicht aus eigener Erfahrung, so doch von Verwandten, Freundinnen… So wenig Ärzte dieses Krankenhaus hatte, umso mehr gab es Schwestern, Hilfspfleger die die Kranken transportierten, Zettel hin und her trugen (es gab mangels Strom - Handys waren noch nicht erfunden - keine Pieper, mit denen Kollegen bei Notfällen dazu gerufen werden konnten), wenn wenig zu tun war, den Garten in Ordnung hielten oder Tee-Pause machten.

Heute, in Deutschland haben wir das Gegenteil, eine hochgezüchtete technikorientierte Medizin, die ich nicht missen möchte. Tolle diagnostische Möglichkeiten von Ultraschall bis Labor und dennoch bei uns fehlt oft der Faktor „Mensch“ und vor allem der Faktor „Zeit“. Damals in Indien hat es mich manchmal wahnsinnig gemacht, wie lange Dinge brauchen, die wir hier in Europa mal so eben schnell erledigen. Wie lange ein Krankentransport einer Schwangeren brauchen kann, wenn der Monsun die Straße zum Krankenhaus in einen Schlamm-Bach verwandelt und die Familie nur einen Ochsenkarren aufgetrieben hat…

Natürlich ist das platte Land an der Grenze zu Bangladesch nochmal ein großer Unterschied zu Metropolen wie Kalkutta und Mumbai. Preetz im Kreis Plön, Heide in Dithmarschen, Sögel im Emsland, die Kliniken und Orte, in denen ich gerne gearbeitet habe, stehen auch nicht am Nabel der Welt. Sind aber zumindest im Westen Hochburgen des guten (Ostfriesen-) Tees und tragen eine Kultur in sich mit Zeit, den Tee zu genießen.

 

Langsame Medizin oder viel Zeit für die kostbaren Schwangerschaften, die Precious Pregnancies

Hochgezüchteter High-Tech, das klappt in Indien heute hervorragend und dennoch ist das Tempo in Asien häufig beschaulicher, die Reisen nach Asien immer wieder ein Grund unser Zeitverständnis zu überprüfen. Auf meiner letzten Reise durch Indien und Nepal 2019 habe ich mich an einem wunderbar inspirierenden Buch festgelesen: „Slow Medicine“, kein Buch über Kinderwunsch und Geburtshilfe aber über die Wichtigkeit, schnelle, effektive Notfallmedizin zu ergänzen durch eine Medizin mit viel Zeit, individuellem Hinsehen, Wertschätzen der Patienten in ganzer Persönlichkeit. Und TLC, Tender Loving Care, mitfühlende empathische Versorgung. Auf langen Straßen von Bodhgaya nach Lumbini hatte ich viel Zeit darüber nachzudenken, wie oft Frauen, gerade mit Kinderwunsch, Frauen nach Fehlgeburten in unserem Medizinsystem unter die Räder kommen. Viel Diagnostik, manchmal mit Ergebnissen, die wir therapeutisch gut angehen können zum Beispiel Gerinnungsstörungen. Oft keine Ergebnisse, mit denen wir arbeiten können, und viel zu wenig Zeit für Erklärungen, Unterstützung.

Auf dieser Reise 2019, entstand die Idee, „Precious Pregnancies“ aus der Taufe zu heben, als ein Programm mit viel, viel Zeit für einzelne Patientinnen/Paare mit Kinderwunsch. Begonnen habe ich im Herbst 2019 neben der Praxis, aber neben einer übervollen Sprechstunde ist es schwierig, die Aufmerksamkeit und die Ruhe immer zu halten, genug Termine zu reservieren. Seit Januar 2021 ist nun ist viel Raum und Zeit für Patientinnen, die einen ganz langen Termin wollen und brauchen, auch mehr Zeit für längere Schwangerschaftstermine, Haptonomie bei vorzeitigen Wehen, Hypnose bei Ängsten in der Schwangerschaft.

Das Problem, das „Slow Medicine“ aufzeigt, die fast nicht mögliche Finanzierbarkeit über das öffentliche Gesundheitssystem, über die Krankenversicherungen kann ich auch nicht lösen. Die Medizin, die bezahlt wird ist dem „höher, schneller, besser“ gewidmet, nicht der Ursachenforschung, dem Zuhören, Termine mit Open-end zu machen. Weder gesetzliche noch private Krankenkassen übernehmen die Kosten für lange, ausgiebige Gespräche oder 2-Stunden -Hypnosesitzungen. Letzte Woche habe ich tatsächlich meinen eigenen Rekord gebrochen: Sechs Stunden mit einem Paar, zuvor waren es fünfeinhalb Stunden mit einem Paar, das war noch 2019. Es dauert so lange, wie es dauert, es braucht, was es braucht… Die Rückmeldung des ersten Paares von 2019 deutliche Verbesserungen der Spermienqualität und eine erfolgreiche Schwangerschaft innerhalb von 3 Monaten mit 41 Jahren. Schön! Wie es bei dem anderen Paar laufen wird, ich werde es sehen.

Werden alle mit diesem Konzept, das moderne Forschung, Endokrinologie und Gynäkologie mit Naturheilkunde und Mind-Body-Medizin kombiniert, schwanger? Nein, das ist nicht möglich, Wunder kann ich auch nicht bewirken. Aber Ursachen gründlich suchen, dort ansetzen und Gesundheit fördern aus der heraus Fruchtbarkeit erwächst. Denn wenn ich eines in Indien gelernt habe: Der menschliche Körper ist unglaublich widerstandsfähig, kann unter widrigsten Bedingungen heilen! Selbstheilung kann unterstützt werden, weniger Medizin kann manchmal mehr sein und Frauenkörper können das: Kinder empfangen, austragen, gebären, stillen!

Precious Pregnancies™. Ja, ich habe mir den Namen mittlerweile schützen lassen, denn ich habe noch einiges vor. Neben den langen Intensivtagen mit einzelnen Frauen oder Paaren in der Praxis, gibt es einiges, wie ich mein Wissen sinnvoll an die frau bringen kann auch wenn der Weg nach Kiel zu weit und aufwendig ist. Mehr davon erfahren Sie über meinen Newsletter.

Kommen Sie gut durch den Winter und träumen Sie von der warmen Sonne, die gerade auf Indien scheint. Freundliche Menschen, wunderbares vegetarisches Essen. Ich wünsche sehr, dass das auch 2021 nicht in allen Ecken dieses großen Landes gut ausgestattete Gesundheitssystem nicht mit der Pandemie zusammenbricht.

Lieben Gruß Ihre Dr Dorothee Struck

 

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